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Mensch mit pinker Masse im Ohr gesichtet – Ein neuer Trend?

vom 29.07.2013, Autor: Sylvia Zimmer

Schon oft wurde es gesehen, aber nie verstanden. Bei Hörgeräteakustikern sitzen Menschen mit pinker Masse im Ohr. Aber wieso? Ein neuer Trend?  Heute werden wir die ganze Wahrheit hierzu erfahren. Ein hörPlus+ Akustiker spricht exklusiv in einem Interview darüber.

pinke-masseIch habe gehört, es gibt Menschen die sich hier pinke Masse ins Ohr spritzen lassen. Ist das ein neuer Trend?

Nein, die pinke Masse ist eine Abdruckmasse. Davon werden, ähnlich wie beim Zahnarzt, Abdrücke vom Ohr genommen. Aus diesem Abdruck wird dann ein Gehörschutz oder eine Otoplastik hergestellt.

Und was sind Otoplastiken?

Otoplastiken sind maßangefertigte Abbildungen des Ohres, durch welche der Schall vom Hörgerät ins Ohr gelangt.

Wieso maßangefertigte?

Weil alle Menschen verschiedenen Ohren haben. Von außen sehen sie zwar gleich aus, aber es gibt doch viele Unterschiede.

Und wie werden Otoplastiken angefertigt?

Wie schon gesagt, wird zuerst ein Abdruck vom Ohr genommen. Hierzu wird ein kleiner Watteknäuel vor das Trommelfell geschoben, um es zu schützen und dann wird die pinke Abdruckmasse ins Ohr gespritzt. Nach ein paar Minuten wird diese Gummiartig und kann aus der Ohrmuschel rausgenommen werden.

Klingt ja schmerzhaft.

Nein ist es nicht. Es kitzelt höchstens ein wenig.

Darf jeder solche Abdrücke nehmen. Es hört sich ja ganz einfach an.

Nein, dass dürfen nur Hörgeräteakustiker. Sonst ist das Risiko, dass das Trommelfell oder das Mittelohr verletzt wird zu groß. Auch unsere Azubis üben erst mal an den Kollegen, bevor sie auf die Patienten losgelassen werden.

Und wie geht es dann weiter?

Hörgeräteakustiker: Der Abdruck wird gewachst und dann mit Agar-Agar übergossen. So entsteht so etwas wie eine Backform für die Otoplastik. Dort wird dann Acryl eingegossen. Das Ganze wird in den Drucktopf gestellt und nach ca. 45 Minuten ist die unbearbeitete Otoplastik fertig.

Wow, dass hört sich jetzt sehr fachlich an. Was ist Agar-Agar und warum wird der Abdruck gewachst?

Der Abdruck wird gewachst damit kleine Unebenheiten überdeckt werden. So ist der Abdruck ganz glatt und auch die Otoplastik wird es. Agar-Agar ist Gelee artig und wird aus Algen gewonnen. Wenn es erhitzt wird, wird es flüssig. Sobald es wieder kalt wird, wird es wieder Gelee artig. Man hat das Gefühl beim Berühren der Masse, dass in Wackelpudding gelangt wird. Nur ist dieser nicht grün oder rot sondern eher durchsichtig.

Und wieso nimmt man ausgerechtet Acryl. Es gibt doch auch andere Stoffe, wie beispielsweise Metall.

Acryl wird hauptsächlich genommen, weil es recht günstig in der Herstellung ist, gut zu bearbeiten und nicht viele Menschen darauf allergisch reagieren. Es werden aber auch andere Materialien genommen, wie Gold oder Titan dies ist für Menschen, die auf Acryl allergisch reagieren.

Wie geht es dann weiter?

Die unbearbeitete Otoplastik nennt man einen Rohling. Nachdem man diesen hergestellt hat, überlegt man sich, wie er später aussehen soll und fräst ihn dementsprechend in die maßangefertigte Form.

Was ist beim Fräsen zu beachten?

Es muss aufgepasst werden, dass man nicht zu viel Material wegnimmt, sonst passt die Otoplastik hinterher nicht mehr. Außerdem sollte man die Otoplastik gut festhalten, denn es kann sein, dass diese einem beim Fräsen um die Ohren fliegt.

Das klingt ja ziemlich gefährlich.

Gefährlich ist es nicht. In der Ausbildung passiert es öfter mal, dass einem die Otoplastik wegrutscht und man sich in den Finger fräst. Oder das die Otoplastik wegfliegt und mit etwas Pech den Kollegen trifft. Und von seinen Fingernägeln kann man sich auch erst mal verabschieden.

Und wenn man künstliche Nägel trägt?

Das Geld kann man sich sparen und in eine gute Nagelfeile investieren.

Gibt es denn noch andere Wege Otoplastiken herzustellen.

Ja, es gibt noch andere Verfahren, aber für uns ist diese die günstigste Variante.

Benötigen Sie denn oft Otoplastiken.

Inzwischen weniger. Die meisten Hörgeräte werden auf unauffälligeren Wegen angepasst. Aber manchmal brauchen wir noch welche, wie bei älteren Menschen die was zum Anfassen brauchen oder bei Personen die einen sehr geraden Gehörgang haben oder eine bessere Abdichtung aufgrund des starken Hörverlust haben. So ist der Halt in der Ohrmuschel besser.

Werden Abdrücke nur dafür benötigt.

Nein, wir können aus Abdrücken auch maßgefertigte Kopfhörer herstellen oder Gehörschutz fertigen. Gerade letzteres ist wichtiger denn je geworden, denn so kann man einen Hörverlust vorbeugen.

Vielen Dank für das Interview und den Einblick in die Welt der Otoplastiken.

 

Sylvia Zimmer
Hörgeräte-Akustikmeisterin  aus München
www.hoerakustik-zimmer.de